Neuerdings erschienen auf Schriftstücken, die mein Drucker lieferte neben, über und unter den Buchstaben hässliche schwarze Punkte. Ich gehöre zu den Leuten, die alles was sie schreiben nicht nur elektronisch speichern sondern zusätzlich ausdrucken. Man wirft mir deshalb Misstrauen gegenüber der IT – Technik vor. Der Vorwurf besteht zu Recht. Ich muss damit leben. Deshalb auch ist ein fehlerfrei funktionierender Drucker mir so wichtig. Einer der keine hässlichen schwarzen Punkte aufs Papier spuckt.
Ein bisschen altmodisch wie ich bin, gebe ich also den Produktnamen meines Druckers bei ‚Safari’ ein, um die Telefonnummer des Herstellers meines Druckers zu erfahren und dort einen Menschen zu finden, dem ich mein Problem schildern kann. Ich werde fündig. Zu beschreiben, wie lange das gedauert hat, würde hier zu lange dauern.
Nach dem Wählen der Telefonnummer ist beileibe nicht gleich ein Mensch am anderen Ende der Leitung sondern eine weibliche etwas strenge Automatenstimme: Wenn Sie eine Information über ein Telekommunikationsprodukt wünschen, drücken Sie bitte auf Ihrem Telefon die Eins. Ist ein Drucker ein Telekommunikationsprodukt? Nein. Während ich zu dieser Erkenntnis gelange, hat die Stimme weitere Vorschläge, mit der Aufforderung Zwei, Drei und Vier zu drücken gemacht, an die ich mich nicht mehr so rasch erinnere. Die Automatenstimme scheint mit begriffsstutzigen Leuten wie mir zu rechnen und beginnt ihre Ansage von vorn: Fotokopiergeräte die Zwei – nein – Drucker die Drei. Meine Freude ist so groß, dass ich nicht sofort drücke, die Ansage beginnt von vorn, diesmal drücke ich rechtzeitig. Die Automatenstimme empfiehlt mir, sollte ich ein Problem mit dem Drucker haben, dieses auf der Internetseite der Firma zu schildern: E-Mail-Adresse folgt. Ich bin zu verwirrt, sie mir zu merken. Erfreulicherweise ergänzt die Automatenstimme, sollte ich über keinen Internetanschluss verfügen, möge ich die Vier drücken. Da ich davon ausgehe, dass meine Druckerfirma noch nicht weiß, dass ich einen Internetanschluss habe, drücke ich frech die Vier. Es ertönt die Ansage einer Sprachschleife, der nächste freie Anschluss gelte mir.
Ich lege mein Telefon beiseite, drücke die Lautsprechertaste lasse mich einige Minuten lang von der Sprachschleife trösten, lese derweil in der Zeitung, dass Israel und Iran bis in alle Zukunft verfeindet bleiben werden, als sich eine weibliche Stimme meldet. Diesmal eine lebendige.
Ich bin so glücklich, dass ich sofort anfange mein Punkteproblem zu erläutern, schließlich will ich den Anschluss nicht unnötig für andere Hilfesuchende blockieren. Die Frau unterbricht mich, sie werde mich mit einem Techniker verbinden. Ich schäme mich. Wie konnte ich annehmen, dass die erste menschliche Stimme, die sich mir widmet gleich eine Technikerin ist. Es dauert wieder eine Weile, dann meldet sich der Techniker. Ich schildere erneut mein Problem, diesmal schon mit einer gewissen Routine. Der Mann am anderen Ende der Leitung schweigt so lange, dass ich schon befürchte, er hat mich abgehängt, weil mein Problem zu lächerlich für einen Techniker ist. Aber das ist nicht der Fall, der Mann hat meine Information nur sacken lassen, fragt mich nun nach dem Gerätetyp und der Gerätenummer. Falls er erwartet haben sollte, mich auf diese Weise schnell loszuwerden, hat er sich getäuscht. Seit der Kühlschrank, die Waschmaschine, der Geschirrspüler und der Trockner defekt waren und ich mehrfach gerügt worden war, Gerätetyp und
-nummer nicht parat zu haben, bin ich in diesen Dingen geschult und schreibe sie mir vorher auf. Ich nenne beides betont lässig, als würde es zu meinem üblichen Alltagswissen gehören. Es entsteht wieder eine Pause. Ich höre etwas klicken und vermute zu Recht, dass der Techniker auf seinem PC nach meinem Drucker fahndet. Wann ich den denn erstanden habe, fragte der Techniker, und ich höre in seinem Tonfall schon etwas Missbilligendes. So vor – sechs, sieben Jahren, sage ich nicht ganz sicher. Dann gebe es für mein Gerät keinen Support mehr, bescheidet mich der Mann. Was er damit sagen will, möchte ich wissen: Support. Das hatte ich vorher in diesem Zusammenhang noch nie gehört. Das bedeute, er habe mein Gerät nicht mehr in seinen Unterlagen, könne mir also leider von seinem Platz in Kuala Lumpur aus nicht helfen. Kuala Lum…? Ich war tatsächlich so naiv zu glauben, ich spreche mit jemandem in Berlin. Ob er mir dann wenigstens ein oder zwei Firmen in Berlin nennen könne, die mir vielleicht vor Ort einen Ratschlag geben könnten. Ich fühle mich sofort als Volltrottel: Wie kann ich erwarten dass jemand in Malaysia mir eine Firmenniederlassung in Berlin nennt. Aber wieder falsch gedacht: Ohne Zögern nennt mir der ferne Gesprächspartner zwei Berliner Telefonnummern von Unternehmen, die beide den Begriff Media im Firmennamen führen. Beide Unternehmen sind sogar in meiner Wohnnähe.
Ich wähle den ersten an. Willkommen bei Soundso-Media sagt eine weibliche Stimme, die ich allein wegen ihres euphorischen ‚Willkommen’ sofort als Automatenstimme erkenne. Und da redet sie betont heiter auch schon weiter: Wenn Sie eine Information über Haushaltsgeräte wünschen, drücken Sie bitte die Eins. Wünschen Sie eine Information über Tonträger drücken Sie bitte die Zwei. Wünschen Sie eine Information im TV-Bereich drücken Sie bitte die Drei. Für den Fotobereich bitte die Vier. Für elektronische Geräte die Fünf. Ich drücke die Fünf. Vermutlich ist mein Drucker ein elektronisches Gerät. Doch, ja, je länger ich darüber nachdenke, ist er das. Sprachschleife, nächster Anschluss ist Ihrer undsoweiter. Telefonhörer in Lautsprecherfunktion beiseitelegen, ich lese wieder Zeitung. Ein Freizeichen dann wieder eine weibliche Stimme. Lebendige Frau. Eindeutig. Nicht wirklich motiviert. Ich beginne zu berichten, kann gerade noch den Gerätetyp nennen, bis zur Gerätenummer komme ich nicht. Man habe meine Druckerfirma zwar im Sortiment, aber telefonisch könne man mir nicht helfen. Ich möge das Gerät vorbeibringen. Vorbeibringen? Mein Drucker hat den Umfang einer mittleren Hundehütte, von seinem Gewicht ganz zu schweigen.
Ich bedanke mich, wähle die zweite Telefonnummer. Anderes hätte mich jetzt überrascht: Weibliche Schleifenstimme, für Informationen über Mobilfunkgeräte drücken Sie bitte die Eins, für Informationen über Haushaltsgeräte bitte die Zwei, für …die Drei …die Vier… die Fünf. Telefonhörer in Lautsprecherfunktion beiseite – na, den Rest kennen Sie schon.
Diesmal nach längerer Zeitungslektüre wieder mal ein Mann. Genervt. Auskunft schließlich: Gerät vorbeibringen, wird eingeschickt, dann Nachricht ob sich Reparatur lohnt, eher nicht, da Gerät zu alt. Empfehlung zum Kauf eines Neugeräts.
Traurig betrachte ich meinen Drucker. Treu und zuverlässig hat er über Jahre klaglos auch den größten Unsinn, der mir hin und wieder eingefallen ist, ausgedruckt. Und wegen ein paar blöder, zugegebenermaßen hässlicher schwarzen Punkte soll er auf irgendeiner scheußlichen Müllkippe für Elektroschrott enden?
In der folgenden Nacht schlafe ich schlecht. Der Tod meines Druckers verfolgt mich bis in meine Träume: Wünschen Sie ein Familiengrab, drücken Sie bitte die Eins. Wünschen Sie ein Einzelgrab die Zwei. Wünschen Sie ein Urnenbegräbnis die Drei, für ein anonymes Gräberfeld bitte die Vier, für eine Ruhestätte unter einem Baum im Wald die Fünf, für eine Bestattung auf See die Sechs …Der das mit sonorer Stimme sagt, sitzt mir hinter dem Ladentisch eines kleinen Geschäfts für Bürotechnik gegenüber, ein etwas korpulenter Endfünfziger mit gütigem Gesicht.
Ich wache auf: Den Laden kenne ich. Ich bin oft an ihm vorbeigegangen auf dem Weg zum Wochenmarkt. Der Mann stand manchmal vor der Tür, rauchte einen Zigarillo.
Ich treffe den Mann in seinem kleinen Laden, mit einem Schraubenzieher über einen Fotokopierer gebeugt. Er hört mir zu, nickt, verspricht vorbeizukommen, was er tatsächlich eine Stunde später auch tut. Er bringt eine neue Kartusche für die Farbe schwarz mit. Meint, er könne zwar nichts versprechen, aber einen Versuch sei es wert. Er wechselt die Kartuschen aus, startet den Drucker. Ich wähle meinen letzten Beitrag für HUND UND WELT aus der Datei. Makellos, ohne einen einzigen hässlichen Punkt kommt er aus dem Drucker.
Ich danke dem Mann, streiche, als er gegangen ist, versonnen über das Gehäuse meines Druckers, überlege, ob ich den Techniker in Kuala Lumpur anrufen soll, ihm den Tipp mit der Kartuschenwechsel übermitteln, lasse es aber, weil ich unter der Servicenummer nach endlosem Warten vermutlich einen vollkommen verständnislosen Menschen in Mumbay erreichen würde.
UdM