Lieber Ulrich,
es geht los. Die Milchzähne fangen an auszufallen und wenn nicht ständig Knochen, Hölzchen oder sonstige benagbare Gegenstände zur Verfügung stehen, herrscht permanente Unruhe. Besonders beliebt sind auch Walnüsse, die minutenlang bearbeitet werden, bis sie endlich geknackt und ausgehöhlt sind.
Allerdings haben Nüsse den Nachteil, dass sie sich hervorragend dazu eignen unter Sofas, Schränke oder Betten geschoben zu werden, wo sie dann mit erheblichem Lärm gesucht werden können, bzw. das Herumgekratze und Gefiepse anwesende Menschen entweder verrückt macht oder veranlasst sich auf die Erde zu legen und mit Kochlöffeln die Nüsse herauszuholen. Wie Du Dir denken kannst, wird daraus schnell ein Spiel, und wenn es nach Mika ginge, könnte es stundenlang gespielt werden. Zur Belohnung bekommt man z.B. das Ohr angeknabbert.
In jedem Hundebuch das ich gelesen habe, wird auf die Probleme hingewiesen, die durch das Silvester Geballere entstehen, da unsere kleinen Lieblinge nicht nur ein weit empfindlicheres Gehör besitzen, sondern auch schreckhafter sind. Mika hat den mitternächtlichen (natürlich auch schon vormitternächtlichen) Krach schlicht ignoriert. Beim abendlichen Spaziergang stutzte sie gelegentlich, wenn im Dorf wieder eine Rakete hoch zischte oder ein Kanonenschlag explodierte.
Viel schlimmer – für Mensch und Tier – war das Silvesterprogramm im Fernsehen. Da ihr ja (wenn ich richtig informiert bin) aus gutem Grund in der Uckermark auf den TV-Konsum verzichtet, möchte ich Dich zumindest mit ein paar Sendungshinweisen quälen: Die ARD schoss mit Andy Borg (muss ich den kennen?) und seinem „Silvesterstadl“ den Quotenvogel ab. Bei dem Versuch gegen 23:30 ein auf Mitternacht hinführendes Angebot zu finden, zuckten dort im Ersten immer noch Gestalten wie Roberto Blanco, Patrick Lindner oder DJ Ötzi über den Bildschirm. Im ZDF präsentierte André Rieu „Champagnermelodien“, RTL bot „Die erfolgreichsten Silvesterknaller“ mit Oliver Geisen und unser Heimatsender RBB schreckte mal wieder nicht vor der Erweckung der Toten zurück und sendete „Lachen mit Juhnke“, ließ Moderatoren aus dem „Tropical Ilsland“ in Bruch oder vor dem Brandenburger Tor Plattitüden absondern oder Besucher der „Fanmeile“ die Frage beantworten, warum sie gekommen seien.
Wir haben uns „American Beauty“ auf DVD noch einmal im Original angesehen (toll gebauter Film), wunderbaren Champagner getrunken und zufällig noch das Ende eines Pink Floyd Konzerts auf 3SAT erwischt. Früher am Abend, während D. mit Mika zu ihrem Füssen eine Erzählung von Joan Didion lass, habe ich – was unbedingt erwähnt werden muss – die Ansprache der Bundeskanzlerin gesehen. Gerhard Schröder war ja schon kein Rhetorikkünstler, aber das jetzt – und dann noch den Sprachdynamiker Köhler.
Zurück zu unseren Hündinnen: Mika wächst und wächst. Wie steht es bei Emma? Hat sie ihr Geburtshaus besucht? Ihre Mutter wiedererkannt? Wie haben sich die Hundezuständigkeiten entwickelt, nachdem Eure Töchter allmählich auf Distanz gehen? Könnte diese Erfahrungen im Kindesalter später Einfluss auf die Familienplanung haben (ich bin sicher, das hat irgendjemand schon untersucht)?
Mika schläft zu meinen Füssen, aber in wenigen Sekunden, wenn ich den PC ausschalte, wird sie hellwach aufspringen und nach Beschäftigung verlangen. Unsere Freundin Monika, die seit 15 Jahren für den WDR die Tiervermittlungssendung produziert, hatte mich gewarnt: ein Hütehund wolle immer etwas zum hüten haben, wolle beschäftigt werden und damit seine Alphatiere auf Trapp halten. Da wir mit unseren Sternhagenern ja Hütehunde par exellence haben, vergehen die freien Tage wie im Fluge, bleiben die meisten mitgebrachten Bücher ungelesen, aber Brussigs Wenderoman „Es leuchtet“ habe ich gestern fast geschafft.
Ein glückliches, gesundes, erfolgreiches Menschen- und Hundejahr – Wau,Wau!
Hansjürgen