Hundetagebuch 39

Lieber Hansjürgen,

gestern abend setzte sich Emma am Abendbrottisch neben mich, nicht um zu betteln, das tut sie sehr selten, sondern um dabei zu sein. Zuzusehen. Da wir wissen, dass wir uns mit unseren Hunden unterhalten sollen, begann ich ein wenig mit ihr zu plaudern. Sie hörte mir mit diesem entzückenden Gesichtsausdruck zu, der vermuten lassen könnte, sie verstünde alles. In einer plötzlichen Eingebung sagte ich zu ihr: Kannst du eigentlich schon Pfötchen geben, Emma? – Gib mal Pfötchen.

Zu meiner ungeheuren Verblüffung hob Emma die rechte Pfote und hielt sie mir hin. Ich nahm sie und sagte zu G.: Siehst du das ?! Emma gibt Pfötchen. Woher kann sie das ?!

G. lieferte umgehend des Rätsels Lösung, machte Emma vom Wunderhund zu einem ganz normalen Tier: Unsere Tochter bringt ihr sowas bei, erklärte sie.

Mir wurde klar, dass Emma außer einem Leben mit G. und mir auch ein sehr intensives, wenn nicht ein noch intensiveres Leben mit unseren Töchtern hat. Die Mädchen spielen offensichtlich ganz anders mit dem Hund als ich, der ich es bei Sitz, Platz, Bleib und Komm bewenden lasse und Emma mit einem emphatischen Braaaav ! belohne, wenn sie tatsächlich tut, was ich von ihr möchte.

Ich unterfordere sie wahrscheinlich. Und ich verstehe sie nicht so gut wie die Kinder.

Vor ein paar Tagen zum Beispiel – wir saßen nach anstrengendem Tag entspannt vorm Fernseher – begann sie im Flur zu bellen. Besser Wuffen. Blaffen. Ich vermutete einen Fremden im Treppenhaus, obwohl Emma das sonst eigentlich nicht zum ohnehin sehr seltenen Lautgeben animiert.

Da sie nicht aufhörte und nervös und immer wieder sich umsehend im Fernsehzimmer erschien, erhob ich mich seufzend, um nachzusehen, was das Tier so sehr störte, dass es keine Ruhe gab.

Ich konnte nichts sehen, äußerte Ratlosigkeit. Die Tür zum Kinderzimmer, wo bereits Nachtruhe hätte eingekehrt sein sollen, öffnete sich und unsere Tochter erklärte, schon etwas müde: Emma bellt sich im Spiegel an.

In der Tat ist unsere Wohnungstür innen verspiegelt, sodass man leicht den Eindruck bekommen kann, man begegne sich selbst, wenn man auf sie zugeht. Für uns Menschen nichts Ungewöhnliches, für den Hund wohl schon. Dabei wissen wir, wer wir sind, der Hund weiß es offensichtlich nicht. Er hält sein Spiegelbild für einen fremden Hund.

Ich nahm Emma behutsam am Halsband, versuchte sie, meine vertraute Nähe spürend, zum Spiegel zu führen. Es war nicht möglich. Sie zerrte und zog mit ihrem ganzen Gewicht so heftig, dass ich sie nicht weiter quälen mochte.

Dass Emma ihr Spiegelbild für einen fremden Hund hielt, leuchtete mir ein. Warum aber diese heftige Reaktion nach über sieben Monaten, in denen sie ihrem Spiegelbild viele Male begegnet sein muss ? Vielleicht lag es an besonderen Lichtverhältnissen an diesem Abend.

Unsere Tochter lieferte am nächsten Morgen eine mögliche Erklärung. Emma sei nun erwachsener und mehr Wachhund geworden. Weshalb sie uns jetzt auf Gefahren aufmerksam zu machen beginne. Möglich. Allerdings hat sie uns – ich schrieb bereits darüber – auch in Sternhagen schon vor längerer Zeit einmal sehr eindringlich auf einen Besuch aufmerksam gemacht, der plötzlich und unerwartet vor unserer Glastür stand.

Den Spiegel hat Emma seitdem nicht wieder angebellt. Die Sache harrt trotzdem fortgesetzter Beobachtung und einer tierpsychologischen Erklärung. Beobachten möchte ich auch das Spiel ihrer Schlappohren, deren eines, das linke, in der ‚Aufmerksamkeitshaltung‘ höher steigt als das rechte.

Ein erfahrener Hundekenner erklärte, das läge daran, dass sich die Muskeln entwickelten. – Welche Muskeln ? – Die in den Ohren. Die hätten Welpen noch nicht, jedenfalls nicht in dem Maße. Nun bildeten sie sich aus, und je älter der Hund würde, desto höher stelle er die Ohren bei Bedarf auf.

Ich werde das in einem Langzeitfeldversuch prüfen. Wobei ich hoffe, dass Emma in Ruhestellung ihre Schlappohren behält, weil sie das sind, was sie besonders hübsch macht. – In den Augen der stolzen Eltern.

Je länger wir Emma haben, je enger wir ihr zugeneigt sind, desto mehr Sorgen mache ich mir auch um sie. In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass Gaststättenbesuche sich witterungsbedingt immer häufiger auf dem abspielen, was in Berlin großmäulig ‚Terrasse‘ genannt wird. Wir wissen, dass es sich dabei lediglich um auf den Gehsteig gestellte Tische und Stühle handelt und mit wirklichen Terrassen nichts zu tun hat. Aber es gibt relativ frische Luft. Wenn nicht ein oder mehrere Raucher diesen Bereich verpesten, wie sie es bei Innenräumen der Gaststätten nicht mehr tun dürfen.

Dabei fiel mir auf: Niemand redet über passivrauchende Hunde. Es gibt keinerlei verläßliche Zahlen über in Raucherhaushalten lungenerkrankte Hunde ( und Katzen, Wellensittiche, Hamster etc. ). Man wird allenthalben auch auf der Straße davor gewarnt, Leopardenmäntel oder Babyrobbenstiefel zu tragen. Man wird aufgefordert, seine Unterschrift für das Wohlergehen des jeweiligen Vogels des Jahres zu leisten. Wo aber ist der Aufschrei der Tierschützer gegen das Passivrauchen der Hunde ? Rauchen Tierschützer selbst so heftig, dass sie aus egoistischen Motiven das Problem unter den Aschenbecher kehren ? Das kann und will ich nicht glauben. Wenn ich mal etwas weniger zu tun habe, gedenke ich eine diesbezügliche Aktion ins Leben zu rufen. Schließlich steht der Tierschutz in der Verfassung.

Die Engländer sind uns in diesen Dingen wieder einen Schritt voraus ( wieder, weil sie schon vor uns Gaslaternen hatten, an denen Hunde … ) : Ein englisches Gericht hat einen Hundebesitzer, der angezeigt worden war, weil sein Hund mächtiges Übergewicht hatte, dazu verurteilt, den Hund einer Diät zu unterziehen und das Ergebnis nach vier Wochen dem Gericht vor Augen zu führen.

Wenn ich mich in unserem Kiez umsehe und an die zahlreichen älteren Damen mit ihren Lieblingen denke, die eilig weggezerrt werden, wenn Emma, jung und elastisch, mit ihnen spielen will, weil bei den potenziellen Spielkameraden Herztod wegen Verfettung zu befürchten steht, bräuchten wir zahlreiche Gerichtsneubauten, um Prozesse zu führen, wie sie im Mutterland der bizarren Hunde üblich zu sein scheinen.

Dein Ulrich

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