Lieber Ulrich,
Mika schläft in ihrem Körbchen neben dem Kachelofen, die Morgensonne scheint in die Fenster, Dire Straits begleiten die Idylle mit Gitarrensound, D. steht aus gutem Grund unter der Dusche. Und damit zum anderen Teil der neuen Gegebenheiten:
Du hattest mich vorgewarnt: Unsere Hunde verströmen einen eindeutigen Duft. In meiner drastischen Art könnte ich auch sagen, sie stinken! Aber derartige Vokabeln sind jetzt nicht mehr zulässig, da wir schon nach wenigen Stunden unser Herz nicht nur für Hunde allgemein, sondern für diesen ganz speziell entdeckt haben.
Mit „wir“ sind allerdings in unserem Fall ausschließlich die Menschen gemeint. Unsere Katzen, Tom und Lucy, sind von dem Neuankömmling wenig begeistert. Auch dadurch hat sich das Haus in zwei Bereiche – oben und unten, Hund und Katzen, Mann und Frau – geteilt. Du ahnst es schon, D. hat die Nacht auf der Schlafcouch im Wohnzimmer verbracht, neben ihr – vor dem Sofa, unter dem Sofa, auch mal in ihrem Körbchen – unser Sternhagener Hündchen.
Da Du vermutlich wissen möchtest, wie der gestrige Tag der Übergabe verlief, hier eine kurze Schilderung:
Dass wir dem Ereignis mit einer Mischung aus Vorfreude und Skepsis entgegensahen, schlug sich in einer gewissen Nervosität nieder, die wiederum dazu führte, dass wir uns auf dem Weg von der Prignitz in die Uckermark auf den letzten Kilometern gründlich verfranzten. Wir kamen also schon einmal zu spät. Im „Hundekindergarten“ herrschte das vertraute fröhliche Chaos, das allerdings dadurch gesteigert war, dass an diesem Tag bereits zwei Welpen abgeholt worden waren und auf einer Kreissäge neben dem provisorischen „Hundezwinger“ alte Türen zu Brennholz verarbeitet wurden.
Ich hatte die neun Sternhagener von unserem ersten Besuch vor vier Wochen als niedliche kleine Welpen in Erinnerung. Was uns aber da entgegensprang, waren Riesenwelpen. Und besonders groß war, wer wohl? Mika wiegt bereits 10 – in Worten zehn – Kilo. Glücklicher Weise hatten wir auf einen, in diversen Hundebüchern empfohlenen, Karton oder ein Kistchen verzichtet.
Die Tierärztin, die wir später auf dem Weg ins Wochenendhaus aufsuchten, analysierte als dominante Rassen Berner Sennenhund und Hovawart. Das deckt sich ja mit der Analyse Eures Arztes.
D., die inzwischen wieder wie früher riecht, liest mir gerade aus einem Hundelexikon diesbezüglich vor, dass beide Hunderassen typische Bauerhunde sind, was zu uns in jeder Hinsicht vorzüglich passt. Wie das bei einem urbanen Autor in Charlottenburg aussieht, möchte ich Deiner eigenen Einschätzung überlassen. Hovawarts, ursprünglich unter dem Namen „Hofwart“ bekannt, wurden „von deutschen Züchtern unter Verwendung von Hofhunden aus dem Harz, dem Schwarzwald und anderen Bergregionen gezüchtet.“ (Juliette Cunliffe, „Hunde“) Falls Dich rein theoretisch noch Größe und Gewicht interessieren: 58 – 70 Zentimeter, 25 – 40 Kilo. Auch Berner Sennenhunde werden groß. Aber das weißt Du ja als heranwachsender Hundeexperte sicher selbst. Jedenfalls sollten Emma wie Mika – zumindest theoretisch – „ein angenehmes, liebenswürdiges Wesen“ haben und ideale Familienhunde sein. Bei uns scheint sich am Tag Eins des Zusammenlebens, die Theorie in der Praxis zu bestätigen.
Die Rückreise von Sternhagen nach Zaatzke verlief noch etwas komplizierter als die Hinfahrt, da ich den Passagieren auf der Rückbank schlechte, kurvenreiche Landstrassen ersparen wollte, suchte ich eine Route in Richtung Autobahn, die über Templin (Kanzlerinnenstadt), Zehdenick, Neuruppin führte und die sich durch besonders viele Umleitungen auszeichnete.
Was ist eigentlich los in diesem Land? Kurbelt in Wirklichkeit der Straßenbau die Konjunktur an? Ist das noch ein Vermächtnis von Manfred Stolpe für sein geliebtes Brandenburg? Und wieso werden hier auf dem sich von Menschen entleerenden Land auch noch die letzten Bürgersteige gepflastert, die dann keiner mehr benutzt? Die Laternen, die in der dunklen Einsamkeit leuchten, sind natürlich auch neu.
Auf der Reise tat Mika, was von ihr erwartet wurde. Bei einem Zwischenstopp erleichterte sie sich wunschgemäß, nach dem Zwischenstop übergab sie sich in D.s Schoß, wodurch die von den Hundebuchautorinnen (wieso sind das meistens Frauen?) empfohlene Küchenpapierrolle zum Einsatz kam. Halsband und Leine ließ sich unser Hündchen übrigens problemlos anlegen. Den Spielball, der vom Design an das deutsche Sommersportmärchen erinnert, apportiert sie mit Begeisterung.
Der Abend verlief dann u.a. deswegen relativ friedlich, wenn ich einmal von einer kurzen, schmerzhaften Zurückweisung durch unseren Kater absehe, weil eine erfahrene Hundebesitzerin im Wartezimmer der Tierärztin, die sofortige Zurverfügungstellung von Kauknochen empfohlen hatte. Während Dagmar mit Mika wartete, irrte ich orientierungslos durch das Hundeartikelsortiment im nahen Kaufland. Eingedenk des Hinweises, bloß keinen zu kleinen Knochen zu kaufen, nahm ich ein Doppelpack mittelgroßer, mit irgendeiner mir bis dahin unbekannten Materie gefüllte Knochen, sowie einen rassegemäßen Großkauknochen, um den herum sich Parmaschinken befunden haben soll.
Während ich dies schreibe, liegt Mika zu meinen Füssen unter dem Tisch, müffelt leise vor sich hin, war bereits dreimal auf dem Grundstück und einmal bis ins Dorf, möchte unbedingt das Futter unserer Katzen wegputzen und versteht nicht, dass das obere Stockwerk zur hundefreien „no-go-area“ erklärt wurde.
Eben hat die Briefträgerin die Samstagszeitungen gebracht, deswegen beende ich diesen Bericht, nicht ohne allerdings auf Wunsch meiner Frau darauf hin zu weisen, dass mir bei dem Hund von Horst Sch. ein Fehler unterlaufen ist. Es handelte sich nicht um einen Pudel, sondern um einen Cocker. Wieso die Pariser Damen Horst mit Hund attraktiver fanden als ohne, werde ich beim nächsten Truthahnessen mal seine Frau fragen.
Die Futtermengenermittlung habe ich nach Lektüre des Kleinstgedruckten auf der Packung verstanden, sogar einen Messbecher aus dem Geschäft mitgenommen, der allerdings für eine andere Marke geeicht ist. Wir füttern einfach nach Gefühl. D. muss sowieso jede Woche mit Mika auf die Waage, damit sie nicht zu schnell wächst, wegen des zarten Knochengerüsts.
Für heute: WAU!
Hansjürgen
P.S.
Herzliche Grüße an Emma und die anderen Frauen in Deinem Haushalt.