Hundetagebuch 16

Lieber Hansjürgen,

Deine letzten beiden Tagebuchsendungen waren tröstend und informativ zugleich. Ich beginne mit dem Tröstenden: Nein, auch Emma ist noch nicht stubenrein. Ähnlich, wie Du es beschreibst, versuche ich, durch genaue Beobachtung den ‚Pisel – bzw. Ablegewunsch‘ an Emmas Verhalten zu erkennen. Beim Ersteren gelingt es mir fast immer. Allerdings nur Millisekunden vor der Verrichtung. Da habe ich Hoffnung, mich in absehbarer Zeit noch zu verbessern.

Ganz und gar unberechenbar ist die Großablage. Vor zwei Tagen – ich war mit Emma allein, da G. beruflich auswärts – war ich recht sicher, dass Emma angesichts morgendlicher Ablage erst spätestens abends wieder das Bedürfnis verspüren würde. Deshalb konnte ich es kaum fassen, als ich mich, die Uhlandstraße entlang gehend, von ihr zurückgezerrt fühlte – was eigentlich nichts Ungewöhnliches ist, Emma entdeckt Dinge, auf deren Attraktivität man zunächst nicht kommt – zurückgezerrt fühlte also, mich umwandte und zusehen musste, wie ein vor dem Italienischen Restaurant ‚Mantovani‘ ein dort nicht zu diesem Behufe ausgelegter Teppich als Hundeklo benutzt wurde. Unglücklicherweise war ich gerade in dieser Situation nicht mit einer Plastiktüte ausgestattet. So musste ich an mir ein Verhalten entdecken, das ich sonst in meinen Drehbüchern Bösewichten andichte: Ich duckte mich leicht, spähte über die linke Schulter in das Innere der Gaststätte mit einem Blick, in dem sich Angst vor Entdeckung und die kriminelle Energie des sich seiner Untat Bewussten mischten. Hoffend, dass niemand aus dem Restaurant zugesehen hatte, ergriff ich die Flucht. Ich zerrte nun meinerseits Emma mit mir und blickt mich erst in Höhe des ‚Cinema Paris‘ wieder um: Ich wurde wohl nicht verfolgt. Aber erst als ich die gegenüberliegende Straßenseite erreicht hatte und mir die überlebensgroße Pappdame einer ‚Douglas‘ – Kosmetikreklame freundlich – lasziv zulächelte, verlangsamte sich mein Herzschlag.

Zur Zeit fühle ich mich in dieser Sache hilflos. Auch wenn ich jetzt nie mehr ohne Plastiktüte aus dem Büro oder dem Haus gehe, verunsichert mich die mangelnde Vorhersehbarkeit der Emma’ischen Verdauung. Deine Journalistenkollegen ( oder sind es die von ihnen zitierten Politiker, die das Inhaltlose ihrer Äußerungen verdecken wollen ) sprechen gerne von einem ‚Drehbuch‘, was freilich nichts mit dem zu tun hat, was ich darunter verstehe. Ein Drehbuch braucht eine Dramaturgie. Die ist weder bei den politischen Drehbüchern, noch bei Emma zu erkennen. Eher könnte man von der ebenso beliebten ‚Road Map‘ sprechen. Die weist ja, ähnlich wie bei Emma, häufig überraschende, beschissene Konfliktpunkte auf.

Auch mit anderen von Dir angeführten Problemen habe ich zu kämpfen. Emma hinterherzurennen ist bei mir, meiner nicht eben schlanken Figur geschuldet, vermutlich noch komischer als bei Dir, der Du aus dem Hinterherlaufen doch so etwas wie sportliche Absicht glaubhaft machen kannst.

Und dann die Mitmenschen, denen wir auf dem Weg vom Savignyplatz bis zur Lietzenburger in großer Zahl begegnen. Da gibt es die Gruppe der Ignorierer, die sehen weder Herr noch Hund. Dann die der Vorwurfsvollen bis Verständnislosen: ‚Haben Sie das in ihrem Alter noch nötig ?’, fragen ihre Mienen. Gefolgt von den Ablehnern, den Hundehassern. Deren Blicke durchbohren Emma wie einen hässlichen Wurm und werfen mir verächtliche Blicke zu. Am Seltsamsten ist eine Gruppe ( meist mittelalte Frauen ) die sich begeistert vor den Hund hocken, ihn streicheln und herzen mit den Worten ‚Du bist aber ein ganz Lieber‘ und dabei so tun, als liefe Emma allein durchs Leben. Nach getaner Tätschelei – die dem Hund meist gefällt – erheben sie sich aus ihrer Hocke und wenden sich ab, als gebe es mich überhaupt nicht. Ich überlege, ob es was mit mir zu tun hat. Aber eher nicht. Ich werde ja gar nicht wahrgenommen.

Versöhnt wird man durch die Kinder. Wenn sie sich Emma, erst zögernd, nähern, dann, wenn sie spüren, dass es sich um einen netten Hund handelt, sich zu ihr niederbeugen, kann man dieses entrückte, der Kreatur zugewandte Lächeln erleben, wie man es sonst selten sieht.

Unter den anderen Hundebesitzern gibt es eine Gruppe, die ich regelrecht hassen gelernt habe: Wenn Emma sich deren Vierbeinern freundlich nähert, machen sie ihre Lieblinge von der Leine los. Das führt üblicherweise dazu, dass der befreite Hund wie von der Tarantel gestochen loswetzt und Emma natürlich hinterher möchte. Da ich sie im gefährlichen Berliner Straßendschungel noch nicht von der Leine lassen kann, renne ich wie ein seinem Tier hilflos Ausglieferter mit und gebe das oben bereits beschriebene Bild ab. Was die Kollegen Hundebesitzer zu ihrem Tun veranlasst, habe ich noch nicht herausbekommen.

Im Ganzen Emma-Bereich bis jetzt also mehr Rätsel als Gewissheit.

Mit Gewissheit kann ich sagen, dass Berlin eine ungeheuer dreckige Stadt ist. Ich habe das lokalpatriotisch vor auswärtigen Nörglern immer bestritten. Da hatte ich Emma noch nicht. Der zwangsläufige Blick auf das Trottoir eröffnet eine flächendeckende Ansammlung von Unappetitlichkeiten, die einen am Vorhandensein einer funktionierenden Straßenreinigung zweifeln lässt. Emma sieht das ganz anders. Jeder Dreck ist ein willkommenes Schnüffelziel. Am widerlichsten sind die in großer Zahl weggeworfenen Papiertaschentücher. Emma bevorzugt sie. Es bedurfte allerdings nicht des Rates unserer Hundesitterin, Emma von ihnen fernzuhalten. Das gelingt nicht immer, und dann muss man sie Emma aus der Schnauze winden. Dieses ins Hundemaul-greifen-müssen war übrigens, allein als Vorstellung, bei mir eines der größten mentalen Hindernisse, einen Hund anzuschaffen. Emma Schnauze allerdings, trotz ihrer Feuchte aufzusperren ist gar nichts gegen die Berührung mit den Taschentüchern.

Da G. diese Zeilen auch irgendwann lesen wird, muss ich erwähnen, dass die Hauptlast der Hundehaltung, wie frühmorgendliches und meist auch spätabendliches mit Emma Gassigehen (häufig frustrierend erfolgloses ) von G. bewältigt wird.

Das hängt damit zusammen, dass mein Einverständnis für den Hund mit dem Versprechen, mich von diesen Tätigkeiten zu entbinden, erreicht wurde. Ich sehe allerdings, dass das auf Dauer aus Gründen der Gerechtigkeit nicht haltbar sein wird.

Dein Ulrich

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