Wie man der stets seriösen Süddeutschen Zeitung entnehmen kann, streiten derzeit einige Klein- bis Mittelstädte aus dem süddeutschen Raum, nachdem die ‚Bodenseetatorte’ endgültig in einer der durch ‚Tatorte’ bekannten Stahlschubladen der TV-Patholgie verschwinden sollen, um die Tatort-Ort-Nachfolge.
Eigentlich gehörten die Bodenseetatorte motivmäßig noch zu den eindrücklichsten der Tatort-Orte. Das kann man nicht von allen ‚Tatorten’ und seinen Verwandten, den ‚Polizeirufen’ sagen. Der vom vergangenen Sonntag beispielsweise spielte in Rostock. Rostock soll eine hübsche Stadt sein. Davon sah man hervorgehoben nur einen Pier mit sehr, sehr großen Rohren und das Polizeirevier, das sich offenbar oberhalb einer Art Laderampe befindet, auf der die Kommissare, sitzend in einer Ermittlungspause, gelegentlich die Beine baumeln lassen können.
Wenn ich in meiner Tatort-Orte-Erinnerung grabe, ist es allerdings bei den meisten anderen Städten, die durch Tatort-Leichen geadelt werden, nicht viel anders. In Köln kommt gelegentlich der Dom ins Bild, in München die Isar, gerne an einem sprudelnden Wehr mit Wasserleiche, in Hamburg, wenn nicht die Davidswache, letztens mehr die Vorortplatte, wie man sie deutschlandweit findet, Hannover begnügt sich mangels bemerkenswerten Stadtbilds mit Schrebergärten, Berlin und andere Tatort-Orte strapazieren das Auge mit in US-Serien seit langem abgeschafften Zeitraffersequenzen, in denen man das Farbspiel von Autorücklichtern oder das Dahinrasen von Wolkenformationen zum aberhundertsten Mal vorbeizischen sehen kann. Derlei lenkt eigentlich nur ärgerlich von der Krimistory ab.
Was also treibt Heidelberg, Bad Wildbad, Freiburg, Biberach und Baden-Baden dazu unbedingt Tatort-Ort zu werden? Abgesehen von Bad Wildbad vielleicht, wo man einen kurzen Blick ins Ortsregister des Autoatlases werfen muss, um zu erfahren, wo es sich befindet, sind alle diese Orte nicht unbekannt. Und sie würden, abgesehen von der Tatort-Namensnennung, nicht bekannter. Eine Zeitrafferaufnahme über das Heidelberger Schloss bringt für die Stadt ebenso wenig wie eine über Baden-Badens Trinkhalle.
Sollte man – die ARD hat ja weitaus wichtigere Probleme, denkt man nur an die ständig steigenden Kosten für Sportübertragungslizenzen – nicht ein für alle Mal den Druck aus dem Tatort-Orte-Kessel nehmen? Reicht nicht ein einziges Tatort-Ort vollkommen? Gilt es nicht grundsätzlich Deutschland repräsentativ als Ort von Verbrechen überzeugend darzustellen? Und haben wir nicht seit Jahrzehnten einen solchen überzeugenden Ort? Einen, der für Verbrechen der Tatort-Art vollkommen jungfräulich ist? Es gibt ihn. Es ist die Papp- und Holzkulisse der ‚Lindenstraße’. Jeder kennt sie. Sie ist Deutschland wie im Brennglas. Es wird doch wohl einige drehfreie Tage der Lindenstraßenmannschaft geben, an denen man ‚Tatorte’ drehen könnte. Es gäbe keine Eifersüchteleien unter Bürgermeistern mehr, es würden sicher erhebliche Mittel für Sportlizenzen frei, und alle Tatortbeteiligten könnten sich, losgelöst von der unerfüllbaren Forderung neben einer Handlung auch Tourismuswerbung zu betreiben, um richtig gute Plots kümmern.
UdM