Brennende Akkus, Krähen über dem Kanzleramt

Heute Morgen hat Dan mich wieder mal abgepasst. Nicht Dan Brown, obwohl der gerade in der Stadt sein soll, um den neusten Verschwörungsthrillerfilm nach einem seiner Verschwörungsthrillerromane vorzustellen, sondern Dan Krause. Dan kenne ich noch aus der Schulzeit. Da nannten wir ihn allerdings Dani. Abkürzung von Daniel. Daniel hieß man zu meiner Schulzeit nicht, es sei denn mit dem Nachnamen Düsentrieb.

So ein seltener Name gab Anlass zu Spott, deshalb war Dani dankbar für die Abkürzung. Vor ein paar Wochen klingelte Dani an meiner Wohnungstür, grinste über meine Verwunderung, ihm so plötzlich nach Jahrzehnten gegenüberzustehen und erklärte, er sei ins Haus auf der anderen Straßenseite eingezogen.

Mein ‚Hallo, Dani!’ korrigierte er sofort, bat mich, ihn in Zukunft Dan zu nennen, Dan mit ä, denn den Dani habe er seit der Schulzeit abgelegt.

Dan ist Verschwörungstheoretiker wie sein großer Vornamensvetter, das muss gleich zu Anfang offen gelegt werden. Es erklärt vieles, wenn nicht alles, was im Folgenden geschrieben steht.

Dani war Verschwörungstheoretiker schon in der Schule. Seinen ersten Erfolg hatte er, als er behauptete, der Direktor habe was mit der Schulsekretärin und zur Untermauerung allerlei seltsame Beweise anführte. Wir Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen mochten das nicht so recht glauben, vielleicht weil manche von uns selbst gerne was mit der Schulsekretärin gehabt hätten. Sie war jung und schön. Als der Direktor sich dann von seiner Frau scheiden ließ und die Sekretärin heiratete, war das nicht nur ein Skandal, sondern Dani wurde von nun an ernster genommen. Es folgte eine Reihe weiterer Enthüllungen, die mir im Einzelnen entfallen sind, wie ich auch Dani selbst nach der Schulzeit aus den Augen verlor.

Nun ist er also wieder da, als Dan, und seine Verschwörungstheorien sind kühner als damals.

Ich versuche Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden, was nicht immer gelingt. Dans Küchenfenster im gegenüberliegenden Gebäude gibt den Blick auf meine Haustür frei. Wenn Dan mich das Haus verlassen sieht, ist er mitunter so schnell zur Stelle, dass ich vermute, er sitzt bereits in Mantel und Mütze am Küchenfenster, um mich nicht zu verpassen und mir seine neusten Theorien zu vermitteln.

Letztens betrafen sie Bayer und Monsanto. Dan fragte mich, ob jemand, der noch seine Sinne beieinander hat, glauben könnte, dass sich ein US-amerikanischer extrem erfolgreicher Großkonzern von einer deutschen Firma kaufen lasse. Es sei natürlich genau umgekehrt. Weil es mit TTIP nicht vorangehe, hätten die Amerikaner neue Wege gefunden, Deutschland aufzukaufen. Bayer bekomme nämlich von Monsanto das nötige Geld um sich kaufen zu lassen, damit den deutschen Markt zu erobern und uns, nun als angeblich deutsches Unternehmen mit Genfood zu vergiften. Nun bin ich in wirtschaftlichen Dingen nicht so bewandert und zumal Dans Augen vor Enthüllerstolz leuchteten, widersprach ich nur halbherzig, wies dabei aber auf die Autofirma Chrysler hin, die sich von Mercedes hatte kaufen lassen. Dans Augen leuchteten noch strahlender. Ob mir denn entfallen sei, wie diese Übernahme ausging? Mercedes habe Milliarden investiert, Stupid German Money wie man drüben sage, Chrysler damit nicht auf die Beine – genauer auf die Reifen – gebracht und sei am Ende froh gewesen den Laden für ein paar Dollar wieder loszuwerden. Seit dem gehe es Chrysler blendend.

Heute nun begann Dan scheinbar ganz harmlos. Was für ein Handy ich hätte, hoffentlich kein Samsung. Nein, kein Samsung, er spiele sicher auf die brennenden Akkus an, bemerkte ich, um als gut informierter Zeitgenosse das Gespräch schnell zu beenden, obwohl ich hätte wissen müssen, dass Dans Frage natürlich nur die Einleitung zu einer Verschwörungstheorie sein würde.

Ob mir an der Berichterstattung zu den brennenden Akkus nichts aufgefallen sei?

Doch. Sie sei flächendeckend, sehr umfangreich und nicht eben vorteilhaft für das Produkt, sagte ich. Das treffe zu, bestätigte Dan, ob mir aber nicht obendrein aufgefallen sei, dass keine, aber auch wirklich keine einzige Meldung erkläre, auch nur andeute, weshalb diese Akkus zu brennen anfingen.

Es gibt Akkus seit Jahrzehnten’, sagte Dan, ‚es gibt sie abermillionenfach in allen möglichen Geräten ohne Feuer zu fangen. Akkus sind im Aufbau an technischer Schlichtheit kaum zu übertreffen und ausgerechnet bei diesen Samsung-Akkus bekommt niemand raus, warum sie schmelzen oder gar brennen?’

Vielleicht das hinterhältige Werk eines Konkurrenzunternehmens’, schlug ich vor, um Dan schnell loszuwerden.

Nicht übel’, meinte er schulterklopfend, ‚aber zu nahe liegend. Was fällt dir noch ein?’

Ich hatte keine Lust auf Ratespiele und behauptete vollkommen abwegig, auf die Gefahr hin Dan zu verärgern:

Nordkorea steckt dahinter. Samsung ist eine wichtige südkoreanische Firma und Nordkorea will Südkorea schaden.’

Ich hatte Dan tatsächlich verärgert, nicht aber wegen der Lächerlichkeit meiner Theorie, sondern weil ich den Nagel auf den Kopf getroffen und seine Erklärung vorweg genommen hätte, meinte er sichtlich enttäuscht.

Es ist doch eigentlich ganz offensichtlich’, erklärte Dan, ‚Nordkorea hat die Atombombe und bedroht Südkorea mit deren Einsatz, wenn Samsung verrät, wie Nordkorea Akkus zum Explodieren bringen kann. Samsung ist erst der Anfang. Nordkorea kann jeden Akku hochgehen lassen. Weltweit. Vom Akkustaubsauger bis zur Akkuzahnbürste. Deshalb halten sich alle bei Nordkorea politisch so feige zurück, USA, China, sogar Russland. Wollen wir um die Ecke einen Kaffee trinken, dann erkläre ich dir die Zusammenhänge ausführlicher.’

Ich habe einen wichtigen Termin’, behauptete ich, ‚das nächste Mal gerne’, und beschleunigte meine Schritte.

Habe ich Verständnis für’, nickte Dan, ‚nur noch schnell die Sache mit den Solarzellen auf dem Kanzleramt.’ Ich sah Dan fragend an.

Heute in der Zeitung. Das Kanzleramt ist baufällig. Und die Solarzellen werden von Krähen zerstört, die Steine drauf fallen lassen.’

Ich seufzte: ‚Findest du nicht, dass du manchmal etwas übertreibst?’

Das ist doch nicht von mir’, entrüstete sich Dan. ‚Das präsentieren sie uns allen Ernstes als offizielle Erklärung.’

Tatsächlich?’, fragte ich verblüfft. ‚Was ist es denn deiner Meinung nach?’

Na, Außerirdische, was denn sonst’, sagte Dan im Ton überirdischer Gewissheit.

Das hatte ich eingangs vergessen zu erwähnen: Dan ist nicht nur Verschwörungstheoretiker, er glaubt auch an Außerirdische.

Weil ich es wirklich eilig hatte, verkniff ich mir die Frage, warum Außerirdische ausgerechnet Steine aufs Kanzleramt werfen sollten. Dan wusste sicher warum.

Ich spurtete los, eine Krähe flog aus einem Straßenbaum über mir auf, und ich vergewisserte mich mit einem schnellen Blick, dass sie keinen Stein in den Krallen hielt.

UdM

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