DIE GENFOOD – APP oder DER ELEKTONISCHE VORKOSTER

Die Giftmischerei hat im alten Europa eine lange Tradition. Sie reicht zurück bis ins Altertum und hatte eine Blüte zur Zeit der Renaissance, als man an Fürstenhöfen mit Gift lästige Erbansprüche regelte, im Vatikan unliebsamen Päpsten frühen Zugang zum Paradies verschaffte, oder einfach nur ungehobelte Ehemänner vorzeitig entschlafen ließ. Bis in unsere Tage griffen gepeinigte Ehefrau zuweilen noch zum Fliegenpilz oder zur Fiole.

Die Literatur kennt viele schöne Giftgeschichten. Als tragisches und besonders bewegendes Beispiel vielleicht Romeo und Julia, wo am Ende irrtümlich beide Liebende ihr Leben aushauchen. Das für alle Zeiten im Märchen verewigte Beispiel für spektakuläre Vergiftung ist sicher Schneewittchen. Man könnte den Apfel ihrer bösen Stiefmutter als Symbol für ungenießbare Nahrungsmittel schlechthin verstehen.

Nun war man sich in den gefährdeten Gesellschaftsschichten des Problems durchaus bewusst. Kein Herrscher setzte sich einfach an die Tafel und aß drauflos. Man hatte Vorkoster. Manche Potentaten leisteten sich je nach Unbeliebtheitsgrad zwei, drei Dutzend. Nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Fiel so ein Vorkoster neben seinem Arbeitgeber tot vom Hocker, war was mit der Suppe nicht in Ordnung.

Nicht nur weil die Methode sehr personalintensiv war, sondern weil sie sich zunehmend als nutzlos erwies, kam sie aus der Mode. Findige Hofapotheker hatten Gifte mit Langzeitwirkung erfunden. Zu jeder Mahlzeit eine winzige Prise davon in der Pastete konnte auch der empfindlichste Vorkoster nicht erschmecken. Auch wurden kriminaltechnische Methoden entwickelt, die das Vergiften zunehmend riskanter machten.

Zurück zu Schneewittchens Stiefmutter. Wo jene once upon a time das eindeutige Ziel verfolgte, eine überlegene Rivalin aus dem Schönheitswettbewerb ihres Landes zu kegeln, entdeckten in unseren Tagen pfiffige Hersteller harmlos daherkommende aber sehr unbekömmliche Nahrungsmittel zur Profitmaximierung. Das Ableben ihrer Kunden nahmen sie dabei billigend in Kauf. Wir erinnern uns an Glykol im Grünen Veltliner, an Schmieröl im spanischen ‚Extra Vergine’, an westfälisches Gammelfleisch im Döner. Um ein paar Spitzen des Lebensmittelskandaleisbergs zu nennen.

Auch sonst werden unseren Nahrungsmitteln allerlei Substanzen beigemischt, deren Herkunft oft dubios ist.

Um hier ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, haben unsere Verbraucherschützer Kennzeichnungen der Stoffe durchgesetzt, die sich zu unserer Verblüffung völlig legal in unseren Speisen befinden. Wer stets seine Lupe zur Hand hat, kann sie auf den Verpackungen nachlesen und, bei Zweifel an der Bekömmlichkeit, die Ware ins Supermarktregal zurücklegen.

Das würde, mutmaßen US-amerikanische Lebensmittelkonzerne, mit Sicherheit bei ihren Produkten geschehen. Denn im Rahmen der Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der EU haben sie feststellen müssen, dass die verweichlichten europäischen Konsumenten Vorbehalte gegen Chlorhähnchen, Hormonschnitzel und Genmanipuliertes haben, das sich praktisch in jedem US-Lebensmittel befindet.

Die US-Verhandlungspartner hatten deshalb vorgeschlagen, mit den verkaufshemmenden Kennzeichnungen Schluss zu machen. Das kommt bisher bei der Bevölkerung nicht so gut an. Ohnehin verunsichert durch eigenwillige, höchst geheime und seltsame Eigenheiten des ins Auge gefassten Handelsabkommens, erscholl ein Aufschrei des Protests aus der Konsumentenfront.

Hier nun konnten uns unsere amerikanischen Freunde wieder einmal eine Lehrstunde in Kompromissfähigkeit geben. Keine altmodischen aufgedruckten, mit dem bloßen Auge ohnehin nur mühsam erkennbaren Inhaltshinweise mehr, sondern etwas Trendiges: Diese aus weißen und schwarzen Punkten bestehenden kleinen Quadrate, die mit einer Handy-App ausgelesen werden können. Ein elektronischer Vorkoster sozusagen. Da würde dann alles draufstehen, was Konsumentenschützer sich wünschen. Wenn verlangt, sogar Warnhinweise wie etwa ‚Beim regelmäßigen Verzehr dieser Koteletts fragen Sie Ihren Arzt oder Bestatter’. Die paar technikaffinen Spielratzen, die tatsächlich im feierabendlichen Kaufgedränge mit dem Handy die Kühltheke nach Gen und Co durchforsten, wären zu verschmerzen. Die eilige Masse kauft, was griffbereit liegt.

Sollte sich aus dem Auslesen der kleinen Quadrate dennoch eine Art vergnüglicher Konsumentensport entwickeln, wird unter der Führung der Marketingexperten von Monsanto bereits an der Fassung 2.0 der App gearbeitet. Sie wird dann kostenpflichtig sein. Richtet der Kunde sie auf ein US-Lebensmittel, ertönt eine der Nationalhymne nachempfundene Fanfare und im Display erscheinen unter einem rotbackigen Schneewittchenapfel die Worte: ‚Sie haben sich für ein gen-ial optimiertes Produkt entschieden’.

udm

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