Lieber Hansjürgen,
Dein Kenntnisreichtum auf dem Gebiet der bäuerlichen Nutztiere hat mich beeindruckt. Nicht, dass ich mich als überspannten Ästheten empfände, aber etwas in mir sträubt sich gegen allzu genaues Wissen, was sich in den von unseren Hunden bevorzugten Speisen befindet, wo sie herkommen, wie sie verarbeitet wurden. Ich bin dankbar dafür, dass all die zum menschlichen Verzehr ungeeigneten Teile von Schlachttieren in eine Form gebracht werden, die ihren Ursprung unkenntlich macht.
Gerade gestern delektierte sich Emma an etwas, dass nicht nur unschön aussah sondern auch streng roch. G. hatte Emma eine Schweinekopfhaut vom Markt mitgebracht. Wahrscheinlich werden auch wir nicht an den Hundespeisen vorbeikommen, die Du beschreibst. Auch Emma kann man auf Dauer keine echten Knochen vorenthalten. Und wir werden vor demselben Problem stehen wie Ihr, was in unserem Einzugsgebiet dadurch verschärft wird, dass es praktisch keine Metzgereien mehr gibt. Die ratlosen Gesichter des Supermarktpersonals bei einer Bitte um Hundeknochen erspare ich mir. In Ku – Dammnähe gibt es jetzt einen Biosupermarkt mit Fleischabteilung. Die Leute dort scheinen die Einzelteile von Schlachtvieh noch ganz gut zu kennen. Jedenfalls versetzt man dort das Personal hinter der Theke nicht in Panik, wenn man etwa etwas aus der Oberschale oder eine Hesse verlangt. Was im normalen Supermarkt so verstanden werden kann, dass man Kannibale ist und eine Bürgerin eines deutschen Bundeslandes zum Verzehr wünscht.
Aber wer möchte schon mit Hannibal Lecter in einen Topf – in diesem Fall Hundenapf – geworfen werden. Ich habe seinerzeit das ‚Schweigen der Lämmer‘ gesehen, ohne zu ahnen, was mir blüht. Dieser Film gehört zu der Kategorie, bei der eine beliebige Minute im Fernsehen mir ausreicht, sofort zu wissen, um welches Werk es sich handelt und umgehend zu zappen. Sonst muss ich Dir leider beipflichten: Auch ich merke, trotz Gs. rührender Bemühungen, meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, mitunter erst nach geraumer Zeit vor der Glotze sitzend, dass ich einen Film bereits kenne. Ich glaube aber, das liegt entweder daran, dass der Film schlecht ist, dass er beim ersten Betrachten gegen Mitternacht lief oder an der hirnschädigenden Bilderflut, der wir uns aussetzen. An mir jedenfalls kann es nicht liegen.
Zurück zum Hundefutter. Was gebt ihr eurem Hund denn nun eigentlich, wirst Du fragen. Emma wird weitgehend mit ‚Belcando‘ – Trockenfutter ernährt. Es bekommt ihr bestens. Ob der seltsame Produktname in Unkenntnis der korrekten Schreibweise suggerieren will, dass der Hund davon über sein durchaus melodisches Jaulen hinaus auch schwierigere Partien singen lernt, oder ob darin das lateinische Wort für Hund verborgen sein soll, weiß ich nicht. Emma verzehrt davon morgens und abends je einen Napf mit offensichtlichem Genuss bis auf den letzten Krümel.
Gestern haben wir, bevor die Verwaltung mit ihrem Hundeverbot wirklich ernst macht, einen Sonntagsspaziergang am Schlachtensee unternommen. Nicht auf dem Uferweg, von dem aus Emma sofort im Wasser verschwände, wo die Jogger, die kindereichen Familien , die Radfahrer und Hundebesitzer übereinander stolpern, sondern oben auf dem Hügelrücken, wo man kaum auf jemanden trifft. Ein paar Menschen mit netten Hunden hin und wieder, meist Mischlingen wir die unseren. Vielleicht wollen sie mit ihren oft wirklich sehr ulkigen Vierbeinern die Nähe der zehn Meter weiter unten auf dem Seerundweg vorgeführten Rassehunde meiden, oder sie schätzen wie wir einfach die für den Grunewald relative Einsamkeit. Jedenfalls ist bemerkenswert, dass die meisten dieser Hundehalter überdurchschnittlich freundlich auf Emmas Tobewünsche reagieren – auch wenn einige Hunde abweisend knurren.
Unsere Tochter hat eine griffige Formel für die Charakterähnlichkeit zwischen Herr / Frau und Hund gefunden : Nette Leute haben nette Hunde, blöde Leute haben blöde Hunde, brutale Leute haben brutale Hunde.
Ich räume ein, das ist ein Grobraster, aber man kann damit arbeiten.
Du befürchtest, Mika könnte Dich im Ernstfall in der Prignitzeinsamkeit nicht beschützen. Das glaube ich nicht, seit ich erlebt habe, wie unsere sanfte, eher stille Emma auf einen unerwarteten Besuch in Sternhagen reagiert hat. Ein befreundetes Ehepaar mit zwei Kindern stand plötzlich, eine schwarze Silhouette werfend vor der gläsernen Eingangstür unseres Hauses. Emma, die sonst ( bis jetzt ) so gut wie nie bellt, stand wütend, mit tiefer Stimme kläffend und aufgestelltem Nackenhaar vor den Fremdlingen an der Tür. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn sie offen gestanden hätte. Wir werden, was bisher nicht nötig war, eine Klingel einbauen und ein Warnschild an der Gartenpforte anbringen lassen.
Im bildungsbürgerlich wohlhabenden Berlin – Frohnau, wo ich einige Jahre meiner Jugend verbringen musste, stand auf solchen Schildern, häufig auch dem antiken Rom nachempfundenen Kacheln ‚Cave canem‘. Damit würden wir bei unseren Uckermärkern nicht weit kommen. Gegen ‚ Achtung bissiger Hund‘ habe ich etwas. Emma ist ja nicht bissig. Ich denke an ‚ Hier lebt auch ein Hund‘. Wäre das Warnung genug ? Man muss wieder einmal die Juristen fragen.
Einerseits war mir Emmas Verhalten gegenüber den Freunden unangenehm, anderseits hat mich gerührt, dass Emma nach so wenigen Monaten schon einen so ausgeprägten Beschützerinstinkt zeigt.
Ja, Du hast recht, der Hund beginnt unsere Gefühlswelt zu erobern. Meine freundliche Distanz weicht einem steigenden Bedürfnis Emmas Zuneigung zu erwidern. Gerät ihre Begrüßung einmal nicht ganz so emphatisch, frage ich mich bereits: Was hast du falsch gemacht ?
Und je gehorsamer Emma wird, desto bewusster wird mir, was das arme Tier alles nicht darf. Gestern Abend lag sie, als ich zufällig ins Schlafzimmer kam, auf unser Bett hingegossen. Es war ein Anblick vollkommener Entspanntheit und äußersten Wohlbefindens. Ich musste nicht mal ‚Emma!‘ sagen, nicht tadelnd blicken. Schuldbewusst rappelte sie sich hoch und legte sich in ihre Ecke. Fast war ich versucht zu rufen : Bleib doch, wir machen für diesmal eine Ausnahme !
Das geht natürlich nicht. Verboten ist verboten. Auch Emma meidet, wie Du es von Mika berichtest, jetzt unsere Schuhe. Manchmal schnappt sie noch nach einer Mütze, die, in der Hand gehalten, nach unten baumelt. Aber dann will sie nur spielen. Kurz bevor die gefürchteten Flegeljahre einsetzen, ist Emma so brav geworden, dass man ihr hin und wieder ein Papiertaschentuch zum Zerreißen hinhalten möchte. Was waren das doch für heitere Augenblicke, wenn sie mit Toilettenpapier umwickelt, den Rollenrest hinter sich herziehend aus dem Bad kam. Oder glücklich zwischen den abgeräufelten Wollknäuelresten lag, aus denen einmal Pullover hatten werden sollen.
Aber das soll ja den klugen Büchern zufolge alles noch heftiger werden.
Man kann sagen, Emma ist ein Familienmitglied geworden. Bei der Planung von Unternehmungen stellen wir nicht mehr mit kleinem Schreck fest, dass wir dabei den Hund vollkommen vergessen haben, sondern Emma wird wie selbstverständlich mit eingeplant.
Wenn die Tage wärmer werden, wird Emma auch nicht mehr daran gehindert werden, ins Wasser zu springen. Die Mädchen machen sich bereits Gedanken, ob Emma in den Sommerferien mit ihnen gemeinsam in der Ostsee schwimmen wird wie ein guter Kumpel. In den vorangegangen Ferien war das noch ich. Man muss loslassen können.
Dein Ulrich.